„Come and look my shop!“, tönt es von allen Seiten. Das wäre gar nicht nötig, denn natürlich wollen wir jeden Shop von innen sehen, uns alles anschauen und natürlich auch kaufen. Denn erstens haben wir Ferien, wir haben Feriengeld gespart, wir sind in einem fremden Land, wo es fremde, deshalb kostbare Dinge gibt, speziell in Indien: Der Schmuck, die seidenen Stoffe, Bilder, wo auf Kamelknochen farbige Miniaturen von Elefanten gemalt sind, die Schatullen mit Intarsien, der Tee, die Gewürze in allen Schattierungen von Gelb bis Feuerrot, Saris, Decken und Kissenbezüge mit Ornamenten und Spiegeln bestickt in allen nur erdenklichen Farben, Tagebücher in allen Grössen aus handgeschöpftem Papier, bunte lackierte Dösli klein und gross, bestickte Tischtücher und und und! Selbst wenn wir nichts bräuchten, werden wir uns doch mit Andenken und Geschenken für die Daheimgebliebenen eindecken. So war der Ruf “come and look my shop!” eigentlich völlig überflüssig. Nun ja, zumindest am Anfang unserer Reise. Später dann waren wir immer öfter auf beiden Ohren von akut auftretender Taubheit befallen. Genützt hat es überhaupt nichts. „Very good price!“, wurde uns vorgestikuliert, so dass auch ein völlig Tauber das Angebot nicht hätte überhören konnte. Und wenn wir dann immer noch stur weiter marschiert sind, die fünf Schmuck-Trückli aber plötzlich nur noch die Hälfte gekostet haben: Nämlich für den gleichen Preis ganze zehn Trückli zu haben waren, war die Taubheit plötzlich wie weggeflogen. So geschehen meiner Reisefrau. Dabei hatte sie doch schon Trückli geposchtet. Ihr Koffer hat sich immer mehr gewölbt. Ich habe ja fleissig meine Einkäufe nach Hause geschickt. Und behielt einen schlanken Koffer. Dabei war auch Faulheit, oder sagen wir besser, Vorsicht mit im Spiel. Ich hatte keine Lust, einen schweren Koffer noch wochenlang umenand zu fugen, lieber nahm ich die Mühsal der Paketaufgabe in Kauf. Weil, auf einer früheren Reise hatte ich wegen eines zu schweren Koffers eine unerquickliche Begegnung mit einer Bandscheibe. Wochenlang humpelte ich, und das hätte ich gar nicht gebrauchen können in Indien. Dieses Hineinkriechen in die Motor-Rikschas gelang mir auch ohne lädierte Bandscheibe nicht besonders elegant. Oder den Jeep hoch- und wieder runterklettern, wie hätte das erst mit angeschlagenem Rücken ausgesehen?
Als wir am Ende unserer Reise absolut nichts mehr kaufen wollten/konnten oder uns auch das Angebot nicht interessierte, nahmen wir zu einer gemeinen Lüge Zuflucht. „Tomorow!“, sagten wir strahlend, wobei meiner Reisefrau dank ihres angeborenen Charmes (nicht nur abgeguckt wie ich) das wesentlich glaubwürdiger gelang als mir.
Als mildernder Umstand, dass wir zu einer Lüge griffen, mag gelten: Wir wurden teilweise auch beschissen, übers Ohr gehauen oder über den Tisch gezogen. Selbst meiner Reisefrau ist es passiert, dass sie, – obwohl geübt im Feilschen durch jahrelanges Reisen in Asien oder Nordafrika, wo Feilschen quasi zum Guten Ton eines jeden Handels gehört, also bei weitem nichts Anrüchiges ist – ein paar Läden weiter den gleichen Shawl viel günstiger entdeckt hat. Aber auch der tupfengleiche Shawl ist nicht immer der gleiche! Einmal war er aus 40% Seide und 60% Wolle, einmal war das Verhältnis Seide–Wolle umgekehrt und für die ganz skrupellosen Verkäufer und dümmsten Käufer war der gleiche Shawl aus reiner Kashmirwolle. Pashmina lautet das wohltönende Zauber-Deckmänteli für alle Fasern, Viscose und Polyester inbegriffen. Ich habe billige, immer alles relativ, und so teure Pashmima Shawls eingekauft, dass sie sogar in Zürich an der Seefeldstrasse in einer noblen Boutique günstiger zu haben sind. Bei einem Shawl feste gemäärtet, dass der Händler die Hände gerungen hat, den anderen überteuert gekauft – gleicht sich doch alles bestens wieder aus. Mein Ding ist ja das Feilschen nicht. Zu Ehren meiner Reisefrau habe ich es aber zaghaft versucht. Wenn wir zusammen waren, hatte ich es praktisch. Sie hat dem Verkäufer schöne Augen gemacht, und ich brauchte nur still zu sein. Nachdem ich meine Lektion bekommen hatte, dass Määrten ein Spiel ist und erwartet wird. So steht es auch in den schlauen Büchern, den Reiseführern. „Die zu Beginn der Verhandlungen geforderte Summe hat nicht viel zu besagen“, ist da zu lesen. Ab und zu waren wir auch in einem staatlichen Handycraft Geschäft. Dort gibt es Fixpreise, meistens. Was war ich da erleichtert!
Ein ganzes Kapitel im Reiseführer ist auch dem Thema Bakschisch gewidmet. Das Bakschisch ist nicht einfach das Trinkgeld, das man gibt. Es wird in drei Hauptformen unterteilt. Einmal das uns bekannte Trinkgeld „eine kleine Belohnung für einen kleinen Dienst, die jeder – vom Kellner über den Pförtner bis zu der Person, die Passagieren das Gepäck auf das Daches eines Busses hievt – gern entgegennimmt; 10 Rupien sind in den genannten Fällen ausreichend.“ Fr. –.31, so ein winziger Betrag erscheint uns unter aller Würde. Aber man kann natürlich den Kurs nicht einfach nur umrechnen. Der Kellner in einem Hotel, in dem wir abgestiegen sind, erhält monatlich 1500 Rupien, 47 Franken, bei achtstündiger Arbeitszeit und Sieben-Tage-Woche.
„Teurer als Trinkgelder kommt Bakschisch, dass man zahlt, damit Gesetze gebeugt werden, von denen viele scheinbar zu diesem Zweck eingerichtet worden sind. Zum Beispiel kann es darum gehen, eine historische Sehenswürdigkeit ausserhalb der Öffnungszeiten besichtigen zu dürfen, einen Platz oder eine Liege in einem „vollen“ Zug zu bekommen oder eine bürokratische Prozedur zu beschleunigen. Das darf nicht mit Bestechung verwechselt werden, wo es um Ernsteres geht: Sie ist mit Risiken verbunden und setzt andere Verhaltensregeln voraus – am besten man lässt die Finger davon.
Bei der letzten Art von Bakschisch handelt es sich um Almosen. In einem Land ohne Wohlfahrtsystem ist dies ein wichtiger gesellschaftlicher Brauch. Die traditionellen Empfänger sind Menschen mit Behinderungen oder verstümmelten Gliedern. Es ist sicher richtig, es den Einheimischen gleich zu tun und ihnen Geld zu geben...“ Aus „Indien der Nordwesten“ von Stefan Loose.
Mit dem Bakschisch habe ich ja meine Erfahrung gemacht. Der Mann, der mein Postpaket zunähte und versiegelte, hat mir 300 Rupien abgeknöpft, damit das Paket by air versandt wird, ich aber nur das Porto by sea zu bezahlen hatte. Wenn ich mir das jetzt so überlege: Das war doch klare Bestechung. Sie hat aber nicht funktioniert, denn das Paket ist erst nach zehn Wochen am Bestimmungsort angekommen.
Zurück zum Feilschen: „Das dem Europäer oft unangenehme, ja peinliche Feilschen ist Bestandteil einer solch kommunikativen Gesellschaft wie der indischen. So gehört Handeln eben nicht nur zum Geschäft, sondern ist selbstverständlicher Teil des Lebens, ob nun auf dem Bazar, am Strassenrand oder in vielen Geschäften. Im Grunde steht der westliche Tourist sogar noch weit mehr unter dem Zwang, den Preis aushandeln zu müssen, sehen doch viele Verkäufer in ihm einen laufenden Dukatenesel auf zwei Beinen und verlangen oftmals astronomische Summen. Generell lässt es sich schwer sagen, wie viel man vom Ausgangspreis herunterhandeln kann, doch mit 30 bis 50 % liegt man meist ganz gut.“ Aus „Rajasthan mit Delhi und Agra“ von Martin und Thomas Barkemeier.
Dukatenesel, das ist gut, so bin ich mir auch vorgekommen, mit meinem westlichen Überfluss. Und konnte ich da den Verkäufer enttäuschen, und ihm für seine angebotenen Waren einen Korb austeilen? Es fiel mir schwer. Und habe ich nicht manchmal etwas gekauft, nur damit ich dann in Ruhe gelassen würde? Das hat aber nichts genützt. Kaum war der Kauf bezahlt und eingepackt, fing er flugs von neuem an, mir ein besonders schönes Stück anzupreisen: „Very good price for you!“
Es war eine gute Übung für mich in der Schule der Höflichkeit und des Humors.
20 kg Fluggepäck duldet die Lufthansa, wenn die Waage mehr anzeigt, wird es teuer. Der übergewichtige Koffer meiner Reisefrau und mein schlankes Köfferli haben sich bestens ergänzt. Meine Reisefrau hatte nämlich keine Zeit für stundenlange Paketaufgaben bei der Post. Dafür hat sie sämtliche Forts, Stadtpaläste, Havelis und Tempel in ganz Rajasthan gesehen. Die Fotos bezeugen es.
Zuletzt geändert am: 19.07.2009 um
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