Die Kamele sind schon da

Indienreise
Veröffentlicht: 07.07.2009

 „Die Kamele sind schon da!“, hören wir, wo wir doch noch so schön Siesta halten in unserem schattigen Zimmer der Hotelanlage. Ein Blick aus dem Laubengang bestätigt uns: Da hocken zwei Kamele vorm Rosenbeet. Nicht, dass in Indien überall Rosenbeete gehegt werden. Aber in Pushkar, der Stadt mit dem heiligen See, werden viele Blumen benötigt. Für die Pilger und Touristen, denen am See die Blumen angeboten und deren Blättli dir mit einem gemurmelten Mantra in die Hände gelegt werden. Die Blumenbeete müssen bewässert werden, denn während in der Schweiz der grosse Schneefall war, ist es hier im Februar heiss und trocken gewesen. Die Rosen- und Tagetes-Knospen werden an einem Bindfaden zu Kränzen aufgereiht und um den Hals gehängt. Hübsch sieht diese zarte Pracht aus, um so mehr, da sie schnell verblüht ist und die verwelkten Blüten mich wehmütig an unsere eigene Endlichkeit erinnern.

Frauen mit grossen Schürzen versehen habe ich durch die Chrysanthemen-Felder streifen gesehen, die offenen Blüten abknipsend und in die Schürzentaschen stecken.
 
Jetzt steige ich aber rassig aus dem Rock in die Hosen und schnalle mein Bauchtäschli um. Meine Reisefrau klettert als Erste auf das bunt geschmückte Kamel, und ich beobachte, wie sie auf dem Kamelrücken Achterbahn fährt: Steil hinauf, so dass ihr Körper nach vorn fällt und – schwupp – nochmals wie auf einer grossen Welle reitend in die Höhe, als das Kamel auch seine Vorderbeine hochstemmt. Da hockt sie weit oben und lacht. Unsere Führer sehen schmuck aus in weisser Hose, weissem Hemd und farbigem Turban. Hose? Es ist das Stück Stoff, das elegant um Leib und Beine gewickelt wird, das alle Inder, die nicht westlich gekleidet sind, tragen. Nun aber ab die Kamelpost!
 
Wir schaukeln gemütlich dem Dorf entgegen, unsere Führer voran in ihren ledernen Schnabelschuhen. Doch bei der nächsten Abzweigung – welche Überraschung – schwingt sich mein Kamelführer von einem Mäuerchen hinter mich in den Sattel. Platz ist alleweil genug für Zwei, denn ich spüre ihn gar nicht, höre nur sein Geschnalze und die Unterhaltung mit dem Kolleg vorne. Wir umrunden das Dorf und erreichen Sanddünen. Jetzt will mein Treiber mir wohl zeigen, dass ich nicht auf dem lahmsten Kamel hocke und schnalzt, was seine Zunge hergibt. Trabt das Kamel? Denn ich hopse auf dem Sattel in die Höhe und mein Busen wackelt. Ich erinnere mich meiner Reitstunden: Tief mit dem Hintern auf das Reittier, locker das Becken, und ich werde wie in einer Sänfte durch die Wüste getragen. Na ja, zumindest theoretisch! Denn nach nur zwei Stunden Kamelritt habe ich schon einen wunden Blätz am Füdli eingefangen.
 
Es könnte paradiesisch sein, aber kein Paradies ohne züngelnde Schlange – in Form der linken Metallschnalle unterhalb des Sattels. Die drückt mir bei jedem Schritt munter in die Wade. Das wird wieder einen blauen Fleck geben, wieder: Wo ich doch schon an beiden Beinen Schrammen und Kratzer habe vom ungelenken Auf- und Absteigen in die Fahrrad-Rikscha. Meine Beine werden auch immer steifer, die Steigbügel waren nämlich zu lang, jetzt stecken meine Füsse kurzerhand oberhalb der Bügel im Strick. Der ripscht natürlich durch die Sandalen an den Füssen. Das Ganze ist jetzt zu kurz, so dass ich meine Beine nicht mehr entspannen kann. Was solls: Runter kommt man immer, sage ich mir.
 
Und schon machen wir Rast in den Sanddünen, unter einem knorrigen Baum. So gross ist unsere Wüste nicht, denn ein Büebli gesellt sich zu uns um auf seiner Fidel ein Ständchen zu halten. Er spielt auf seinen drei Saiten eine einfache Melodie – wie auch unser Leben plötzlich sehr einfach geworden ist. Ich muss mich auch in den Sand setzen, welcher zuerst von meinem Führer mit der Hand sauber gewedelt wird. Eine respektvolle Geste, denn es ist ja nichts da ausser Sand. Gelächter, als ich mich nicht eben elegant in den Sand plumpsen lasse. Fotos werden geknipst, mit und ohne Turban. Denn ein Führer wickelt ihn neu auf, fast zehn Meter lang ist der leuchtend rote Stoffstreifen. Vom Büebli ist die Schwester eingetroffen und die Mutter mit einem Säugling an der Brust. Sie leben, wohnen, schlafen in einem einfachen Zelt, nachts wohl eng beieinander, so klein sind die Zelte, die wir gesehen haben. Decken sind aussenvor aufeinander gestapelt. Romantisch? Weniger, aller Orten liegen kleine Plasticsäcke. Dass die aber auch schwarz sein müssen! Es sind also keine Züri-Säcke, auch keine Robydog-Säckli. Denn alles kriegt man in den Läden in diesen schwarzen Plasticbeuteln eingepackt.
 
Mit Trinkgeld für sein Musizieren versehen trollt sich der Bub und seine Familie davon. Wir besteigen wieder unsere Kamele. Ich umklammere den Sattelknauf, da kann die Achterbahnfahrt ruhig steigen. Wir reiten an einem Hundekadaver vorbei und an einem Tiergerippe findet ein schwarzer Vogel noch ein Fetzchen. Keine Zeit zum nachdenklich werden. Buben spielen auf einem trockenen Feld Fussball, das Tor haben sie sich mit Ästen markiert.
 
Ramba Zamba ist angesagt auf der Sundown Düne oberhalb der Landstrasse. Hier ist ein Folklore Fest angekündigt mit Musik, Trommeln und Tänzen mit und ohne Feuer. Tanzende Frauen balancieren kunstvoll Vasen, aus denen Feuer lodert, auf ihren Köpfen. Wir entlöhnen unsere Kamelführer, der vereinbarte Preis plus es bitzeli meh und hocken uns wieder in den Sand. Mir wird es jedoch nach der Stille in der Wüste bald einmal zu laut. So wünsche ich meiner Reisefrau noch viel Spass und mache mich auf den Heimweg. Suchen muss ich den, über die Landstrasse, durch enge dunkle Gässli an Kühen vorbei schlängelnd finde ich die Bazarstrasse. Im Gartenrestaurant bestelle ich ein Thali, das Gericht, das im Süden Indiens beheimatet ist. Ein grosser Teller, auf dem sich Schüsselchen mit Reis, Gemüse, Salat und Yoghurt befinden. Fleisch gibt es im heiligen Pushkar keines. Alkohol auch nicht. Den haben wir auf unserer Reise nur ganz selten angetroffen: Manchmal gab es Bier in grossen Flaschen zu bestellen. Aber ich bin ja Weintrinker. Sieben Wochen lang keinen Wein, was wird das meine Leber freuen! Ich bestelle mir gleichwohl etwas Verbotenes. Zumindest für Westler verboten: Einen Eistee – die Wüste hat mich durstig gemacht. Ihr wisst ja, ich muss den Eistee getrunken haben, bevor die Eiswürfel, da aus Leitungswasser, geschmolzen sind. Ob mir das gelungen ist?
 
Zwei Wochen später, mein wunder Blätz ist just schön abgeheilt, machen wir erneut eine Kamel-Safari. Diesmal in einer richtigen Wüste. Wir befinden uns in der Wüstenstadt Jaisalmer in der Wüste Thar, ganz im Nordwesten von Indien. Der Angebote gibt es zuhauf: Mehrtägige Ausflüge mit Übernachtung in einem Luxus-Zelt, sinnigerweise Swiss Tent genannt! So mutig sind wir nicht, hat es doch in der vergangenen Nacht zum ersten Mal geregnet. Anderntags schien zwar wieder die Sonne, und irgendwann hielt auch die Elektrizität wieder Einzug in unserem Hotel. A propos Wüstenstadt: Wir haben oftmals spartanische Verhältnisse angetroffen, da wir hauptsächlich in einfachen Mittelklass Hotels abgestiegen sind. Aber auch in der Wüstenstadt Jaisalmer gibt es Internet-Cafés. Die Wäsche, die wir in der Laundry abgegeben haben, wurde zwar im Bergsee von Hand gewaschen, oder der Wäschemann hat an seinem Strassenstand mit einem Kohleplätteisen gebügelt – aber Internet-Cafés waren immer reichlich vorhanden. Manchmal schneller, manchmal langsamer, bitzeli mehr oder weniger Staub auf der Tastatur. Das ist eben Incredible India!
 
Wir begnügen uns mit einem vierstündigen Ausflug in die Wüste. Zuerst geht’s mit Auto über eine schmale Strasse von Tempel zu Tempel. Erster Jain-Tempel, zweiter, dritter, immer ohne Schuhe, und wieder habe ich meine „Tempelsocken“ vergessen. Also barfuss über die heiligen Steine. Durch ein Dorf, wo wir eine mit Hausaltar geschmückte Stube bewundern, der Hof blitzblank gefegt, Kinder, die uns mit „Where do you come from?, What’s your name?“ umzingeln und ihr Honorar als Fotomodell einfordern.
 
Wir schaukeln auf unserem Kamel zu den Sundown Dünen, wir sind beileibe nicht die Einzigen, überall sieht man kleine Gruppen vor der untergehenden Sonne am Horizont. Aber es verläuft sich schön. Doch der Coca Cola Mann hat nicht vergessen, dass ihm meine Reisefrau versprochen hat, bei Sonnenuntergang nochmals zwei Fläschli abzukaufen. Schon ist er zur Stelle, und ich bezahle ihm zwei Flaschen, wieder für unsere Führer.
 
Meine Reisefrau verfolgt den Sonnenuntergang mit Hingabe. Ist ja auch Romantik pur. Die Sonne sinkt immer röter werdend, das ist ein Farbenspiel unter dem blassblauen Himmel. Scharf zeichnen sich schwarze Figuren, Menschen und Kamele, am Horizont ab. Noch eine halbe Stunde zurück zum wartenden Auto wird mein Füdli wohl ohne Blessur vertragen, denke ich.
 
Bezahlt haben wir für diesen Ausflug 600 Rupien, Fr. 18.70, pro Nase. In diesen Betrag müssen sich teilen: Der Organisator/Reiseführer, der Chauffeur mit seinem Auto und die beiden Kameltreiber mit ihren Kamelen. Man rechne sich den Stundenlohn des Einzelnen aus! Am wenigstens bekommen wohl die Kameltreiber, und die müssen erst noch von ihrem Entgelt Futter für die Kamele berappen. Wir hätten es noch billiger haben können. Auf allen Kamelen sind sie nämlich zu zweit gesessen, aber wir aus der Schweiz hatten jede ein Kamel für uns allein.
 
Bei unserem Organisator hat meine Reisefrau vorgängig noch das Nachtessen bestellt. Schmackhaftes spicy vegetable curry auf der Zinne seines Hauses vor der traumhaft beleuchteten Kulisse des Forts. Ein Bub hat uns mit einer Laterne über den Tisch geleuchtet. Etwas Reis müssen wir stehen lassen, unser Bauch ist voll. Aber den letzten Rest Gemüse kratzen wir vom Blechteller. Und diesmal hat es für jede von uns eine halbe Flasche Bier gegeben – ein Luxus, den sich die gut betuchten Westler leisten können. Meine Leber wird mir hoffentlich die Ruhestörung verzeihen. Soll nicht wieder vorkommen. Ich finde Bier nämlich gruusig.

Zuletzt geändert am: 19.07.2009 um

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