Hunde
Veröffentlicht: 04.07.2006
Indien ist ein grosses Land, ein riesengrosses. Nur schon die Hauptstadt Delhi zählt 14 Mio. Einwohner. Die ganze Schweiz hat grad mal – ihr wisst es besser als ich. In kleineren Städten oder auf dem Land leben natürlich weniger Menschen. Aber auch die wichtigsten Städte im nördlichen Bundesstaat Rajasthan, das wir bereist haben, Jaipur, Jodhpur und Udaipur – sind Millionenstädte. So viele Menschen wie dort leben – so viele Hunde tummeln sich! Oder ämel fast so viele. Mehr als Kühe. Und die Kuh ist ja in Indien ein heiliges Tier. Warum, weiss ich nicht so genau. Man isst kein Rind- oder Kuhfleisch. Das leuchtet mir ein. Die Kuh ist ein Lebensgenosse, gibt Milch, arbeitet in der Landwirtschaft, zieht den Karren oder Pflug, frisst Abfälle, gibt mit ihren Pflärren Brennstoff und Baumaterial. Deswegen müsste sie ja nicht gleich heilig sein, aber ich mag es der Kuh natürlich gönnen. Nun ja, seitdem mich eine Kuh aufgespiesst hat, begegne ich ihr als eher notwendiges Übel im eh schon arg ausgelasteten indischen Strassenverkehr.
Ich bin ganz friedlich bei der Kuh vorbeigegangen, musste vorwärts machen, meine Reisefrau war schon fast ausser Sicht, da spürte ich plötzlich einen Stoss im Rücken. Erschrocken machte ich einen Satz zur Seite und hörte das Schränzen meiner Bluse. Ein Riss im Blusenrücken und beide Seitenschlitze aufgerissen, schön neben der Naht – was muss das auch für ein zartes Baumwollstöffli sein, das nicht einmal die freundschaftliche Geste einer Kuh aushält! Hat die Kuh mich doch glatt mit einem spanischen Torero verwechselt! Und als ich vor dem Hotel um die Ecke gucken wollte, hat mich der Concierge gewarnt: Die beiden dort heimischen Kühe gingen gern auf Ausländer los, ich solle mich in Acht nehmen. Ja, wie denn die Kühe Ausländer von Landsleuten unterscheiden könnten? Der helleren Haut wegen. Alle Achtung, weiss nicht, ob die Schweizer Kühe diesen Intelligenz Quotienten aufweisen! Diese Kühe hatten Kälbli, die leider hinter Gitter eingesperrt waren. Angekettet und auf Steinfussboden liegend. Deswegen die Aggressivität?
Aber ich wollte ja von den Hunden erzählen. Die Hunde scheinen alle einer Rasse anzugehören, haben ein kurzhaariges Fell, sind kleiner oder grösser, in den uni Farben Sand bis Braun. Und sie liegen flach auf einer Seite, alle Viere von sich gestreckt, dösen oder schlafen. Sie liegen total entspannt im strübesten Verkehr und Krach, als wären sie tot. Also nach dem Erlebnis mit der Kontakt suchenden Kuh habe ich mein Herz den Hunden zugewandt. Dabei musste ich immer an meine Ärztin denken. Als es nämlich darum ging, ob ich für die Indienreise eine Tollwutimpfung benötige, verneinte sie und sagte, ich dürfe aber keinen Hund streicheln. Nun hatte sich aber meine Reisefrau gegen Tollwut impfen lassen. Zitat: „Ich streichle sicher keinen Hund, aber ich werde vom Aff gebissen!“ Da im Reiseführer, dem schlauen Buch, steht, eine Tollwutimpfung wäre dringend empfohlen, bin ich auf Nummer sicher gegangen. War für die Katz, nun reuen mich die 230 Franken. Katzen, die ich ja viel lieber als Hunde gestreichelt hätte, habe ich nur ganz wenige gesehen. Die leben in den Häusern, wurde mir gesagt.
Ausser kleinen knuddeligen Welpen boten sich die Hunde auch nicht zum Streicheln an. Zu mitgenommen war ihr Pelzmantel. Durchlöchert, als hätten sich Schaben gütlich getan, voller Grätze und oft war ein Auge oder ein halbes Ohr weg. Manch ein Vierbeiner humpelte auf drei Beinen über die Strasse, ein lahmes Bein im Schlepptau.
Jedoch: Für das nächtliche Konzert verursachen sämtliche Gebresten keine Einschränkung der Tonqualität und Lautstärke. Jeweils um die mitternächtliche Stunde versammeln sich alle Hunde der Umgebung zum Stelldichein. Dann beginnt ein Bellen, Kläffen und Jaulen um die Wette in allen nur erdenklichen Tonlagen. Wird ein Hund heiser oder müde, springen andere in die Bresche, so dass die Fulminanz immer gewährleistet ist. Mal entfernt sich die Meute, und ich lausche angestrengt in die Nacht. Dann kommt sie wieder näher, wau wau wauuuh! Und immer ist ein Hund dabei, dessen wehmütiges Klagen lange nachschwingt. Was hat der arme Hund so jämmerlich zu klagen? Betrauert er einen Artgenossen, der ins dürre Gras gebissen hat? Habe ich doch auf der Landstrasse manch einen platt gewalzten Hundekörper gesehen. Die Viere von sich gestreckt, als mache er nur ein geruhsames Mittagsschläfli unter der indischen Sonne. Oder ruft er nach seiner Freundin, die zu einem anderweitigen Schäferstündchen abgehauen ist? Ich weiss es nicht. Ich weiss nur, dass alle indischen Hunde eine Hundefreundin in petto haben müssen. Denn sonst gäbe es nicht so viele. Eben: Fast so viele wie Menschen!
PS. Das Statistische Amt in Delhi konnte mir die genaue Anzahl der in Indien lebenden Hunde nicht mitteilen. Ich habe zwecks Zählung deshalb die Einführung einer Hundesteuer angeregt. Da die Hunde jedoch herren- und frauchenlos sind, dürfen sie sich weiterhin ihres vogelfreien Daseins freuen. Dürfen scheissen, wohin es ihnen passt. Und müssen sich nicht mit einem albernen Hundeversäuberungsplatz begnügen.
Zuletzt geändert am: 19.07.2009 um
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