You give what you want in Pushkar

Indienreise
Veröffentlicht: 04.08.2006

 “This is a holy place und to the holy men, you give what you want!”, sagt unser Chauffeur mit geheimnisvoller Stimme. Tönt verständlich, oder? Dass ich es wieder mal nicht schnalle, merke ich erst später – als der ganze Zauber vorbei ist.

Pushkar, im zauberhaften Bundesstaat Rajasthan gelegen, ist ein Kaff mit 15'000 Einwohnern. Ein „sorry“ an die Indienfreunde: Zu einem holy place darf man natürlich nicht Kaff sagen. Ich finde Rajasthan auch nicht zauberhaft, das habe ich so auf einer Postkarte, die meine Reisefrau an ihre Daheimgebliebenen geschrieben hat, gelesen. Ich möchte euch ja nichts vorenthalten und immer nur meine Meinung vertreten. Wenn in Rajasthan also etwas zauberhaft sein soll, ist es sicher das Städtchen Pushkar.
 
Vor langer Zeit hat nämlich der Schöpfergott Brahma die Lotusblüte (pushpa), die er in Händen (khar) hielt, auf die Erde geschleudert um einen Dämon zu töten. An den drei Stellen, wo die Lotusblätter zu Boden fielen, entsprang wundersamerweise mitten in der Wüste Wasser, das drei kleine blaue Seen bildete.
 
Daraufhin berief Brahma am Ufer des grössten Sees eine Versammlung von 900 000 himmlischen Wesen ein – das gesamte hinduistische Pantheon. Der von weiss getünchten Tempeln und Badeghats umgebene See ist heute eine von Indiens heiligsten Städten. Da das Seewasser während der glückverheissenden Vollmondphase im Oktober/November (Jahrestag des Göttertreffens mit dem heiligen Ritual yagna) die Seele von sämtlichen Befleckungen reinigen soll, strömen zu diesem Anlass unzählige Pilger aus dem gesamten Land zusammen.
 
Der Pushkar-See wird von 500 schönen, weiss getünchten Tempeln umgeben, die durch 52 ghats mit dem Wasser verbunden sind – eines für jeden rajasthanischen Maharadscha, der sich vor Ort ein eigenes Anwesen bauen liess und eigene Priester beschäftigte, die während ihrer Aufenthalte die notwendigen Zeremonien vollzogen. Soweit die Überlieferung des Padma Purana im schlauen Buch „Indien, der Nordwesten“ von Stefan Loose.
 
Wir sind also von unserem Chauffeur instruiert und werden am See abgesetzt. Sofort bemächtigt sich unser je ein junger Mann in westlicher Kleidung und lotst uns die Stufen zum See hinunter. Die Schuhe müssen oben bleiben. Es wird uns eine Blume in die Hand gedrückt. Schön ist das von dem jungen Mann, der aber mit einem holy man so gar nichts gemein hat. Ein holy man ist aber kein Guru, dem die jahrzehntelange Askese anhaftet, mit wallenden Kopf- und Barthaaren, aber das lerne ich erst später. Warum nun unsere jungen Männer heilig sind, wissen die Götter, das genügt ja auch völlig.
 
Ich muss mich am Wasser hinsetzen und meine Hände zur Schale öffnen. Sie werden gefüllt mit Rosenblättli, Reis, gelbem und rotem Farbpulver. Ein Reiskorn wird mit roter Farbe auf meine Stirn geklebt – wie schön, jetzt gehöre ich auch dazu! Das Vorgesagte muss ich nachsagen: „Brahma, Vishnu, Shiva seien geehrt!“, brabbel-brabbel. Rosenblättli, Reis und Farbpulver werfe ich in den See, brabbel-brabbel. Meine Hände werden neu gefüllt und ich werfe das gleiche hinter mich, brabbel-brabbel. – Ich liebe solch geheimnisvollen Zeremonien und glaube fest, dass die angerufenen Götter ein wohlwollendes Auge auf mich und meine Familie werfen. Meine Familie besteht zwar nur aus meiner über alles geliebten Katze – immerhin. „Glück, Gesundheit, Aus- und Einkommen!“ – was mir das alles wert sei? „100 Dollar/Euro, 1000 Dollar/Euro?“ Verschämt gestehe ich, dass ich weder Dollar noch Euro bei mir habe, sondern 100 Rupien geben will. „No, 500 Rupien für Brahma, Vishnu, Shiva, each – diesem Mann da!“ Da komme ich mir echt schäbig vor: Das Wohl meiner Katze soll mir nur gerade mal 100 Rupien wert sein? Damit kommen doch die Götter nicht weit! Und ich zücke einen 500-Rupien-Schein, auch den zweiten und dritten für die Götter. Und weil mein Seelenheiler für sich auch 500 Rupien fordert, klaube ich die letzten fünf 100-Rupien-Scheine aus dem Geldbeutel. Schwupp, bin ich entlassen und klettere leicht benommen die Treppen zu meinen Sandalen hinauf.
 
Meinen wirklich allerletzten 100-Rupien-Schein bekommt der Musikant, der die zartesten Töne seinem einfachen Streichinstrument entlockt. Das heisst, seine Tochter, eine selbstbewusste, etwa siebenjährige Schönheit, schnappt ihn sich aus der Luft. Das wäre die Gage für ihren Gesang. Es wird mehr gefordert, aber diesmal bleibe ich stur – Kunststück bei leerem Portemonnaie! Ein Fussketteli für 50 Rupien von der Mutter, die einen schlafenden Säugling trägt, liegt noch drin. So hat denn die ganze Familie zu ihrem Unterhalt beigetragen. Das Mädchen hat schön gesungen, mit frischer, kräftiger Stimme.
 
Dass ich mir so überrissen viel Geld aus der Tasche habe ziehen lasse, wird mich den ganzen Tag ärgern. Wie habe ich mich nur so einlullen lassen? Wo uns Dinesh, unser Fahrer doch extra gewarnt hatte! Meine Naivität habe ich wieder mal teuer bezahlen müssen. Meine Reisefrau ist besser weggekommen. 100 Rupien hat sie gegeben, auf das Drängen hat sie noch 20 dazugelegt und es damit bewenden lassen. Ihre holy men waren nicht zufrieden mit ihr und haben mich als leuchtendes Vorbild gezeigt. Es hat sie nicht gekratzt. Weil ich völlig pleite war, hat sie mir einen Mango-Lassi spendiert.
 
Abends haben wir unseren Fahrer wieder getroffen. Was die holy men mit meinem Geld machen, habe ich ihn gefragt. Ob sie es für sich behalten? „O no!“, antwortete er entrüstet. Mein Geld komme Bedürftigen zu gut. Wer’s glaubt, wird seelig! –
 
„Leider wird einem die friedvolle Atmosphäre an den Ghats durch dort auf westliche Touristen lauernde Brahmanen allzu oft verdorben. Ständig wird man von ihnen zu sogenannten pujas eingeladen, bei denen unter anderem mantras nachgesprochen werden. Am Ende wird einem ein gelb-rotes Bändchen ums Handgelenk gebunden (weithin als Puskar Passport bekannt), was selbstverständlich mit der Bitte um eine Spende einhergeht. Die Höhe wird zunächst mit „as you like“ benannt, doch 10 oder 20 Rupien sind dem Priester dann doch zu wenig. 100 Rupien sollten es schon mindestens sein. Das ganze hat mit Religiosität nichts zu tun und ist reine Geschäftemacherei. Dementsprechend sollte man keine moralischen Skrupel haben, sich auf eine solche Prozedur gar nicht erst einlassen.“ Aus „Rajasthan mit Dehli und Agra“ von Martin und Thomas Barkemeier.
 
Nun, die beiden Zwillingsbrüder sind armselige Westler und haben in ihrem schlauen Buch diesmal nichts Gescheites von sich gegeben. Nach meiner Heimkehr habe ich nämlich meine Katze bei bestem Wohlergehen angetroffen. Ja, sie hatte es an ihrem Pensionsort viel besser als bei mir zuhause. Mit meiner Masseurin Käthi, bei der sie die sieben Wochen untergebracht war, durfte sie nämlich den Fernseh-Liegesessel teilen. Eines Nachts, erzählt mir Käthi, sei sie von einem Geräusch aufgewacht. In der Stube sei die Katze auf dem Liegesessel gesessen – nicht gelegen – und habe gebannt einen Zeichentrickfilm mit einem Löwen verfolgt. Die Katze sei wohl irgendwie auf die Fernbedienung getreten.
 
Brahma, Vishnu und Shiva – ich danke Euch, dass ihr meine Gaben angenommen habt und der Katze nicht nur ein behagliches Zuhause sondern auch nächtliche Zerstreuung besorgt habt. 
 
PS. Trotz einiger Eskapaden habe ich in Indien relativ wenig Geld gebraucht. Ich ziehe sofort los um einen Fernseh-Liegesessel zu kaufen. Wo ist nur die Fernbedienung hingekommen? Ich werde sie der Katze in bequemer Reichweite parat legen. Brahma, Vishnu und Shiva – ich danke euch für diesen göttlichen Fingerzeig. 
 
Da fällt mir ein: Ein Fernseh-Programm-Heftli ist zu abonnieren! Schliesslich will meine Katze nicht nur dämliche Trickfilme anschauen sondern auch mal einen Dokumentarfilm. Zum Bespiel über die vielfältigen und lebendigen Gottheiten in Indien!

Zuletzt geändert am: 19.07.2009 um

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