Ein Paket geht auf Reisen

Indienreise
Veröffentlicht: 03.02.2006

Eine deutsche Touristin, mit der wir im Hotel ins Gespräch kommen, und die zum 15. Mal Indien bereist, erzählt mir von ihrer - bewährten, einfacheren Version. Die Zolldeklaration spart sie sich, anstatt eines Metallbehältnisses genüge auch eine Kartonschachtel und nach einer Versiegelung habe noch nie ein Postbeamter gefragt.

Also, nehme ich mir für den morgigen Tag dieses Unternehmen vor. Ich habe bereits gechrömelt: Eine mit Ornamenten und Spiegeln bestickte Decke klein und mittelgross, zwei Kissenbezüge, eine grosse Batik Decke, einmal vier Meter Seide, einmal zwei Meter Seide, zahlreiche bunte Lacktrückli. Dann will ich mein warmes Nachthemd loswerden, und die Wildlederjacke, zwar leicht, nimmt mir im Koffer zuviel Platz weg. Nachthemd und Jacke brauche ich nicht bei 35 Grad Celsius. Und noch fünfeinhalb Wochen aus dem Koffer leben ist angesagt. Also weg damit in einem schönen Paket an meine Scheizer Adresse verfrachtet. -
Meine Reisefrau schüttelt den Kopf. Sie weiss natürlich bestens Bescheid über die Mühsal, die da auf mich zukommen wird. Sie bietet mir auch an, mich zum Schneider zu begleiten. Mutig lehne ich ab. Ich will es allein schaffen. Allerdings habe ich in Indien noch keinen Schritt ohne meine Reisefrau gewagt. Wir fragen noch den Maître d'Hotel, was der Schneider wohl für das Nähen meiner Pakethülle verlange. 100 bis 150 Rupien bekommen wir zur Antwort. Und wo befindet sich ein Schneider? Es folgt eine grosszügige Geste in Richtung Basar. -
Ich packe also meine Sachen in einen Plastiksack und schlängle mich zwischen Autos, Motorrädern, Mofas, Karren, dreirädrigen Taxis, Fahrrädern, Kühen, Ziegen, Schweinen und Menschen durch die Ladenstrasse, tapfer links und rechts nach einem Schneider Ausschau haltend. Wir hatten die verschiedenen aneinandergereihten Lädeli, kleiner als eine Garage, schon gesehen: Mit Coiffeurgestühl, Maschinen aller Art, Lebensmitteln, Schmuck, Kleidern und und und - eben Nähmaschinen. -
Da steht eine Nähmaschine, mit Handbetrieb. Aber als ich auf meinen Sack deute und frage, ob er mir ein Paket für die Post nähe, ernte ich ein verneinendes Kopfschütteln.
Also weiter. Die nächsten Nähmaschinen sind nicht weit entfernt. - Diesmal habe ich Erfolg. Mir wird ein Sesselchen beim Eingang des "Geschäftes" angeboten, und ich darf wählen zwischen einem grauen und einem beigen Baumwollstoff, der mir zwar recht dünn erscheint, aber der Schneider wird's schon wissen. Der Schneidergeselle nimmt mit konzentrierter, ernsthafter Miene an meinem Plastiksack Mass. Ich gucke umher und stelle mit höchster Befriedigung fest, dass die Schneiderwerkstatt eher eine Sattlerei ist. Das ist noch viel besser für mein Unterfangen. Die Werkstatt ist viel, viel kleiner als unsere Garagen für einen PW, drei Nähmaschinen, Handbetrieb, stehen längsseits nebeneinander, an der Wand gegenüber ein Gestell mit Stoffen und Sammelsurium, dazwischen bleiben 20 cm um sich durchzuquetschen. Ich habe es ausprobiert, nicht ohne meine Schuhe auszuziehen, denn vor meinem Sesseli liegen die Latschen des Chefs, des Gesellen, des Lehrbuben und des jeweiligen Besuchers, der
sich auch noch in den Laden drückt. -
Ich befühle meinen Plastiksack - ob die Lacktrückli auch schön im Stoff eingebettet sind, und nicht etwa uselampen. -
Ich bin etwas erstaunt, dass mein Sack keinen Karton verpasst bekommt, aber der Schneider wird sich ja auskennen. Wird wohl nicht sein erstes Postpaket sein, das er da näht! -
Im nachhinein weiss ich: Spätestens jetzt hätte meine Reisefrau Einhalt geboten und einen Karton reklamiert. Eine klare Antwort auf meine Preisanfrage habe ich auch nicht bekommen! Immer zuerst klar aushandeln, sonst kann man böse Überraschungen erleben. -
Mein Stoffpaket ist schnell zugenäht. Damit ich es besser tragen kann, kommt noch eine Schnur drum. Kostenpunkt 150 Rupien. Also der Höchstpreis! Ich krame die Noten zusammen. Nein, nicht feige sein, sondern zu Ehren meiner Reisefrau feilschen, wie sich das in Indien gehört. Na ja, zumindest ein bitzeli. Ich strecke ihm 140 Rupien entgegen, die er mit einem nonchalanten Nicken entgegennimmt. Nun ab in die nächste Motor-Rikscha, die in Delhi Tuktuk genannt werden. Ein Euphemismus sondergleichen, denn das Geräusch, das sie von sich geben, ist kein sanftes Tuk-Tuk, sondern ein ohrenbetäubendes Geknatter. Ich knattere also die Marktgasse entlang, da fällt es mir siedendheiss ein:
Wieder habe ich den Preis nicht ausgehandelt, jetzt kann der Fahrer mich kräftig übers Ohr hauen. Ich will ihm an die Schulter tippen, muss aber mich und mein Paket festhalten, so doll hötterlen wir über das Kopfsteinpflaster. Vorbei am Basar, und schon schwenkt er in eine Seitenstrasse, da ist ja das Post Office. 20 Rupien, da bin ich nochmals gnädig davongekomen. -
In der Schalterhalle wartet vor jedem Schalter eine Traube von Menschen. Wo soll ich anstehen? Zuhinterst sitzt einer an einem Tisch, auf den steure ich zu. Es ist ein Bänkler, über sich ein Schild seiner Bank. Sofort checkt er meine Lage, spricht den Beamten hinter dem Schalter an, der öffnet mir die Tür und lotst mich durch das Innere des Office zu einem Kollegen. Erstaunt über diese zuvorkommende Extrabehandlung (das klappt ja wie am Schnürchen!), setze ich mein charmantestes Lächeln auf, wie ich das meiner Reisefrau abgeguckt habe. "Please, I want to send this parcel to Switzerland!"
Ich wähne mich schon am Ziel meiner Übung. Der Postbeamte nimmt mein Stoffpaket unter die Lupe, drückt mit spitzen Fingern daran herum, schüttelt mitleidig den Kopf, und nun sehe ich es selbst:
Mein einstmals stramm rechteckiges Paket hat zu einer kläglichen Wurst mutiert. Durch das Drehen und Wenden um die letzte Naht von Hand zuzunähen, ist die Form auseinander gefallen und die satt gewickelte Schnur hat ihr Übriges getan:
Die Trückli hängen lose im Stoffbeutel, und der ganze Inhalt lässt sich in der Stoffwurst hin- und herschieben. -
In der Sattlerwerkstatt noch pralle Mortadella, wird mein "Paket" als flacher Landjäger in der Schweiz ankommen. Ich sehe es ja ein. Also nochmals zurück in die Sattlerwerkstatt, bisher ist einfach alles zu glatt gelaufen, denke ich. Wo der Reiseführer doch von "aufwändig" schreibt... -
Ein Tuktuk führt mich zurück, und ich übergebe meine Paketwurst nochmals dem Gesellen. "A box is necessary!" Ich weiss doch nicht, was Schachtel heisst. Der Geselle schnallt es aber, und bald kommt ein Bub mit einem Karton, bitzeli ausgefranst zwar, aber der Plastiksack passt genau hinein. Der Stoffsack wird von allen Seiten minutiös drangehalten, sollte immer noch passen. Nun folgt ein Zwängen und Würgen, bis der Stoffsack über den Karton gestülpt ist. -
Hier hätte meine Reisefrau zum zweiten Mal Einspruch erhoben. Zwischen Karton und Stoff hätte ein Zettel mit meiner Adresse gehört. Falls der Stoff reisst und abhanden kommt, wird mein kostbares Paket unzustellbar. Daran will ich gar nicht denken. Das letzte Stück Naht wird nämlich von Hand mit ziemlichen Galopp-Stichen zugenäht. -
Ich sitze wieder auf dem Sesseli und beobachte das bunte Treiben. Das Sattlergeschäft scheint zu florieren. Ein Vater kauft für sein Büebli einen Schulranzen, Mutter und Tochter verhandeln lange um einen ockerfarbenen Reissverschluss und ein Töff bekommt einen neuen Überzug auf die Sattelbank verpasst. -
Anständigerweise frage ich wieder nach dem Preis für mein Paket, obwohl die erste Arbeit offensichtlich Pfusch war und ich nicht nochmals bezahlen müsste. 20 Rupien kostet es auch nur, damit ist offenbar des Gesellen Arbeit Genüge getan, denn der Chef ist nicht da. -
Wieder auf die Gasse, und diesmal frage ich, bevor ich das Tuktuk besteige, nach dem Preis. 50 Rupien heisst es da! Wo mir der Postbeamte und der Besitzer vom benachbarten Edelsteinlädeli doch eingetrichtert hatten: 10 Rupien sind genug! Also lasse ich den frechen Rikschafahrer stehen und laufe zu Fuss bis zur nächsten Fahrgelegenheit. Da bin ich die halbe Strecke schon zu Fuss getippelt, trotzdem kostet es wieder 20 Rupien. Die karren doch keine Touristin für nur 10 Rupien in ihrem Städtchen herum, kann ich da nur denken. -
"Da ist der Eingang für Pakete!" ruft mir der Fahrer nach. Doch ich steure wieder den mir bekannten Eingang an. Aber, o weh, kein Sesam öffne dich, der Schalterbeamte kann mich vor lauter Menschen gar nicht sehen, und der Bänkler an seinem Tischli murmelt: "20 minuts untill lunchtime!" Jetzt weiss ich aber, was es geschlagen hat! Wenn ich es nicht schaffe, mein Paket vor der Mittagspause abzugeben, muss ich womöglich zwei, drei Stunden warten, bis die Post wieder öffnet. Warten wo? mit dem blöden Paket im Schlepptau. Es gibt hier kein Sprüngli Café mit Sonnenschirmen wie am Paradeplatz! -
Dann hätte der Reiseführer mit seiner Prognose also voll ins Schwarze getroffen. Obwohl er auch schreibt, die Post hätte durchgehend geöffnet. Doch Bundi ist eine kleine Stadt, eher ein grosses Dorf. Jetzt geht es also um die (Paket)Wurst! Schnell aus der Halle und in den anderen Eingang. - Es fehlt nicht viel, und mein Paketbeamter breitet die Arme aus, um mich und mein beinahe perfektes Paket zu empfangen. So kommt es mir zumindest vor: Er strahlt über das ganze Gesicht, als er mich erblickt und ich ihm mein neues stabiles Paket vorführe. -
Wieder darf ich mich setzen, es wird mir ein Krug Wasser angeboten (den ich entschuldigend ohne daraus zu trinken, weitergebe), "Where do you come from?" usw. usf. Die üblichen Fragen eben. Mein Pöstler redet gern und viel, und ich verstehe davon wenig. Der Landweg sei unglaublich billig, heisst es im schlauen Buch. Es daure drei Monate, oder nur die Hälfte oder auch das dreifache, bis das Paket am Bestimmungsort angelangt sei. Also lieber den teureren Seaway. -
Der Beamte rechnet mir vor: Die Grundgebühr plus das Gewicht des Paketes, es wird ein stolzer Preis, den er in einem abgegriffenen Heftli aus seinem Schrank nachschlägt - als ich ihm seine Frage nach dem Kontinent, in dem sich dieses Switzerland befinde, beantwortet habe. Es ist ein längeres Hin und Her, und ich warte die ganze Zeit auf die Formulare, auf den Adresszettel zum Ausfüllen und Aufkleben. Ich bekomme aber keine Formulare, stattdessen wird mir ein Kugelschreiber über den Tisch geschoben, mit dem soll ich auf mein Stoffpaket Adresse, Absender und Inhaltsangabe schreiben. Plus die Erklärung, die er mir diktiert:
Dass sich keine von der Post verbotenen Waren im Paket befinden. So, das ist vollbracht! Wie lange mein Paket unterwegs sei? frage ich meinen Beamten. Das hätte er mir doch erklärt: Entweder ginge es nach Delhi oder Mumbay, dann mit dem Flugzeug an den Bestimmungsort, wo es etwa nach einer Woche ankäme. So ein Witz, wo ich selbst doch erst in sechs Wochen nachhause komme!
Daher also die hohen Portokosten - Flugpost. Ich bekomme sogar eine Quittung, ein Schnipselchen mit meiner ausgedruckten Adresse in die Hand gedrückt.
Geschafft! Unter beiderseits herzlicher Verabschiedung verlasse ich das Postoffice - noch vor der Mittagspause. -
Wieder zurück im Hotel erzähle ich stolz dem Maître d'Hotel von meinem Erfolg. Sein lakonischer Kommentar lautet: "Normalerweise kann man in Bundi gar keine Pakete aufgeben!"
 
In meinem Zimer entdecke ich an der Stuhllehne zwei Taschen, die doch auch ins Heimatpaket hätten sollen. Nun, ich weiss ja jetzt, wie es geht. Alles halb so wild in Incredible Indien!

Zuletzt geändert am: 19.07.2009 um

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