Wie mein Paket doch versiegelt wird...

Indienreise
Veröffentlicht: 03.05.2008
Ihr erinnert euch? Das Paket muss von einer Stoffhülle umgeben sein. Der
Receptionist unseres Hotels versichert mir, dort wäre so ein Mann, der würde einem Ausländer einen viel zu hohen Preis für seine Arbeit verlangen. Ich solle aufpassen, bläut er mir ein: 200, maximal 250 Rupien solle ich bezahlen. Gleichermassen wird auch mein telefonisch aufgebotener Motor-Rikschafahrer instruiert. Bevor ich in sein Gefährt klettere, frage ich nach dem Fahrpreis. Ja, ich habe gelernt! Aus dem folgenden Wortwechsel zwischen dem Receptionisten und dem Rikschafahrer schliesse ich, dass letzterer mich offenbar übers Ohr hauen wollte, und einen überrissenen Preis verlangt hat. Wir lachen alle Drei. Ich steige ein mit meinen diversen Shawls und Stolen, "echt" Paschima, Seide, oder Wolle, Musik CDs und wieder die typischen bunten Decken aus Rajasthan, handgeschöpftes Papier, etwas Keramik, ein ausgelesenens Buch und neu Gewürze und Tee: Gar nicht viel, nur etwa zwei Kilo. Das wird das stattlichste Paket mit über 5 kg! -
Unterwegs bete ich, dass der Paketmann diesmal auf seinem Posten ist. Bei Paket No zwei war er das nämlich nicht. Beten tue ich eigentlich immer auf indischen Strassen. Ich weiss zwar nicht, ob sich mein Gott von Zuhause auch für das Chaos der indischen Strassen und deren allfällige Folgen zuständig fühlt. Sollte ich besser eine hier ansässige Gottheit bitten, mich heil zurück zu bringen? Brahma, Shiva oder Vischnu? Welche, oder alle drei zusammen? -
Wieder sitzt der Paketmann nicht im Kabäuschen. Doch, da kommt er vom Imbissstand mit einer Beige Toast in der Hand. Ich brauche nur meine Kostbarkeiten auf sein Tischli zu häufen und nach dem Preis zu fragen. Mein Rikschafahrer vertritt mein Anliegen. Also, je nachdem wie gross das Ganze, ob mit oder ohne Schachtel, mit oder ohne seals und wieviel von denen. Letzteres verstehe ich erst später, als er eine Schachtel mit roten Siegellackstangen hervorholt und mit der Schneiderschere sein Siegelwappen säubert. 300 Rupien, perhaps more, perhaps less. "Oh, very very expensive!" - gelernt von meiner Reisefrau. Ob ich jedoch ihren entsetzten, ungläubigen, charmanten, konspirierenden Ton genau so gut treffe? -
Ohne Schachtel wäre es billiger. Notabene besteht seine Schachtel aus einem arg mitgenommenen Karton, in dem sich ehemals Getränkeflaschen befanden. Die "Schachtel" hat ihn null und nichts gekostet, und jetzt verkauft er sie mir teuer. "Ja, bitte mit Schachtel!" Will ja nicht wieder eine krumme Paketwurst - habe schliesslich gelernt in der Zwischenzeit. -
Der Rest passiert nun von allein. Ich kann mich mit unseren Ansichtskarten, schon genügend frankiert, ins Innere des Postoffice begeben. Mein Rikschafahrer begleitet mich treu. Er weist auf ein Ungetüm von schwarzem Briefkasten. Aber nein, da werfe ich unsere kostbaren Ansichtskarten nicht rein! Gelernt ist gelernt. In allen Reiseführern steht: Die Post immer im Postoffice abgeben und schauen, dass sie abgestempelt wird. Warum? Weil erstens der Briefkasten vielleicht nie geleert wird und zweitens der Pöschtler die Briefmarken ablösen könnte und nochmals verkaufen. Tatsächlich ist wahrscheinlich ein ganzer Packen Postkarten nicht angekommen. Ich durchforste mein Hirni noch und noch: In Bundi, dem schmucken Städtchen, das meiner Reisefrau so gut gefallen hat, wo wir in einem verträumten Havelis, einem Stadtpalast einer früheren Adelsfamilie, logierten, unterhalb von Hundert Zinnen und Türmchen hoch oben am Berg, wo es das Linsen Dal aus einem kupfernen Henkelkesseli zu schöpfen gab, wo ich auf der Gasse den Schweinen, die glücklich herumwieselten, ausweichen musste... da habe ich meine Karten nur fröhlich ausgehändigt und nicht gesehen, ob sie abgestempelt wurden. Aber der Postmann war doch soo freundlich und hat sich sehr gewundert, dass ich nicht verheiratet sei. Der wird doch meine Briemarken nicht geklaut haben? Ich kann es mir nicht vorstellen. -
Wir marschieren in die Post. Es ist wieder eine dunkle, ärmliche Halle, alles verwaist. Nein, nicht ganz, da huscht eine Ratte. Ein hagerer Mann erscheint aus dem Hintergrund. Ich werde aufgefordert, mich auf einen Stuhl zu setzen. Er schreibt eine Notiz, ich warte. So, ich bekomme seinen Notizzettel, darauf steht sein Name mit Adresse. Er wünscht sich eine Postkarte aus Switzerland. Meine Adresse muss ich auch auf einen Notizzettel schreiben, sogar mit Geburtsdatum - nun ja, wenn das meinem Paket förderlich ist. -
Draussen ist der Paketmann in voller Aktion. Er ist sich der Wichtigkeit seines Amtes bewusst. Ruhen doch fünf Augenpaare gebannt auf seinem Tun. Er näht mit sauberen Stichen konzentriert mein Paket zu, alles von Hand. Nähen!? Nein, das ist eher Nadel und Faden zelebrieren - wie ein Chirurg ein frisch operiertes Herz zunähen mag. Geschickt bewegt er die Nadel in seinen Wurstfingern, und wir halten fast den Atem an, als er seinen Gehilfen mit strenger Miene auffordert, den Daumen auf die straffgezogene Stoffecke zu halten. Es sind der Gehilfe, neben dem Rickschafahrer und mir noch zwei Zaungäste, die das Geschehen verfolgen. Letztere sparen natürlich nicht mir ihren wortreichen Kommentaren. -
Fertig, der letzte Stich ist vollbracht und der Faden säuberlich verknotet. Nun wird es erst richtig spannend! Der Paketmann zündet einen grauslig stinkenden Brenner an, der ihm schon seine halbe Bude russgeschwärzt hat. Jetzt kommt der rote Siegellack zum Zug. Auf jede Stofffalte kommen mehrere Siegel. Das dauert eine ganze Weile, denn das Siegelwappen wird immer wieder gereinigt. Zum Schluss ist mein Paket über und über mit roten Punkten bestückt und sieht aus, als hätte es die Masern. Der Paketmann zählt die Siegel und kommt auf 28 Stück. Drei schenkt er mir, 25 Siegel zu drei Rupien das Stück habe ich zu bezahlen. Das ganze Paket kostet 320 Rupien. -
Mittlerweile habe ich das Formular ausgefüllt, was ein Zaungast liebend gern für mich erledigt hätte. "I write for you very fast - you write so slowly!" 10 Rupien muss ich noch locker machen und der Gehilfe wird zum Fotokopieren geschickt. -
Der Paketmann lässt es sich nicht nehmen, "sein" Paket persönlich im Postamt abzugeben. Wieder werde ich in dessen Eingeweide geführt, und ich sehe aus dem Backoffice, wie sich der normale indische Staatsbürger vor der matten, fleckigen Schalterscheibe die Nase platt drücken muss. -
Noch während des Stichelns bin ich gefragt worden: "Which way? land, sea?" "By sea" ist meine Antwort, "or better by air!" "O very expensive!", aber es gäbe da vielleicht einen Weg, das Paket am schnellsten und trotzdem günstig zu befördern. "Ja, wie denn?" will ich natürlich wissen. Also, der Post-Paketmann verteilt abends die Pakete in einen Sea-way-Sack und einen Air-way-Sack. Gegen ein Bakschisch könnte er unter Umständen ein Sea-way-Paket in den Air-way-Sack fallen lassen. Aha, wie hoch das Bakschisch denn sei? 100 Rupien, bekomme ich zur Antwort. -
Ich zeige mich nicht abgeneigt und schon saust mein Paketmann davon, "wait!" - "300 Rupien!", verkündet er wiederkommend, die ich bereitwillig zücke. Und weg ist er, "wait!". Als er wieder auftaucht, legt er verschwörerisch den Finger auf seinen Mund: "Nowbody knows anything!" "About what?", frage ich sinngemäss. -
Ich steige in die Rikscha und der Fahrer ruft beim Davonfahren dem Paketmann mit vorwurfsvoller Stimme etwas zu. Über was beschwert er sich? Dass es so lange gedauert hat, das Paket zu teuer war oder über die Beamtenbestechung und damit geförderte Korruption? Ich bin zu müde und feige um nachzufragen. -
Mein Rikschafahrer muss mich noch zum Parfumladen bringen, wo ich am Vortag eingekauft habe und zu wenig Geld dabei hatte. Der Geschäftsmann hat mir eine grosse Flasche Sandalwood-Öl mitgegeben - bezahlen könne ich morgen! -
Dem Rikschamann gebe ich das Doppelte des abgemachten Preises, das heisst, ich verzähle mich, und er erhält den dreifachen Preis. Ein Freudscher Verzähler, damit er Stillschweigen bewahrt? -
Wieso sind aus den 100 Rupien Bakschisch eigentlich 300 geworden? Da hat wohl der Paketmann abgesahnt. Ist ja logisch, aber wieviel? Am End hat er das ganze Bakschisch für sich behalten, und der Rikschamann hat seine Schliche durchschaut? In welchen Sack fällt jetzt am Abend mein Paket? Und wann kommt es an? Und kommt es überhaupt an? Wer hat jetzt wen beschissen? -
Solltet Ihr zwischen Jodhpur im indischen Bundesstaat Rajasthan und Zürich, Switzerland ein Paket entdecken - mein Paket ist aus Tausenden von Paketen leicht zu erkennen: Es ist das mit den Masern!
 
100 Rupien = rund CHFr. 3.10
 
PS. 1 Paket No 1 war 2 Wochen und 6 Tage unterwegs; Paket No 2 nur 2 Wochen und 2 Tage. Von Paket No 3 fehlt bis heute jede Spur. Ich habe es am 16. März aufgegeben. Es ist jetzt also schon über sechs Wochen unterwegs. Und das trotz Bakschisch/Schmiergeld/Bestechung. "Gott straft sofort!", sagen wir bei uns. Das ist in Indien offenbar nicht anders. Ich wurde bei einem unredlichen Tun ertappt. Geschieht mir recht. Soll ich auf das Paket warten, bis ich schwarz werde. Es ist aber noch kein Grund zur Besorgnis. "Seefrachtpakete sind nach Europa gewöhnlich acht Wochen unterwegs, es kann jedoch noch länger dauern." Soweit ein schlaues Buch. Mein Paket wird in Quarantäne stecken. Wegen der Masern!
 

PS. 2 Das Paket ist am 22. Mai am Bestimmungsort angekommen, war genau zehn Wochen unterwegs. Also hat das Bakschisch den Transport keineswegs beschleunigt. Aber ohne Bakschisch wäre es sicher verloren gegangen! 

Zuletzt geändert am: 19.07.2009 um

Zurück